Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reiches

(16.10.1914)

Wir Lehrer an Deutschlands Universitäten und Hochschulen dienen der Wissenschaft und treiben ein Werk des Friedens. Aber es erfüllt uns mit Entrüstung, dass die Feinde Deutschlands, England an der Spitze, angeblich zu unsern Gunsten einen Gegensatz machen wollen zwischen dem Geiste der deutschen Wissenschaft und dem, was sie den preußischen Militarismus nennen. In dem deutschen Heere ist kein anderer Geist als in dem Deutschen Volke, denn beide sind eins, und wir gehören auch dazu. Unser Heer pflegt auch die Wissenschaft und dankt ihr nicht zum wenigsten seine Leistungen. Der Dienst im Heere macht unsere Jugend tüchtig auch für alle Werke des Friedens, auch für die Wissenschaft. Denn er erzieht zu selbstentsagender Pflichttreue und verleiht ihr das Selbstbewusstsein und das Ehrgefühl des wahrhaft freien Mannes, der sich willig dem Ganzen unterordnet. Dieser Geist lebt nicht nur in Preußen, sondern ist derselbe in allen Landen des Deutschen Reiches. Er ist der gleiche in Krieg und Frieden. Jetzt steht unser Heer im Kampfe für Deutschlands Freiheit und damit für alle Güter des Friedens und der Gesittung nicht nur in Deutschland. Unser Glaube ist, dass für die ganze Kultur Europas das Heil an dem Siege hängt, den der deutsche ‚Militarismus’ erkämpfen wird, die Manneszucht, die Treue, der Opfermut des einträchtigen freien Volkes.“

Diese Erklärung wurde von dem Altphilologen Ulrich von Wilamowitz-Moellendorf (1848-1931), Professor an der Berliner Universität, verfasst und von 3016 Hochschullehrern unterzeichnet.

(Aufrufe und Reden deutscher Professoren im Ersten Weltkrieg. Stuttgart 1975, S. 49/50)

 

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„Seeberg-Adresse“ oder auch „Intellektuelleneingabe“ (Auszüge)

(20.6.1915)

 â€žDas deutsche Volk und sein Kaiser haben 44 Jahre den Frieden gewahrt, gewahrt zuletzt bis an die Grenze der nationalen Ehre und Daseinserhaltung...

Da haben wir Deutschen, einmütig vom Höchsten bis zum Geringsten, uns erhoben in dem Bewusstsein, nicht nur unser äußeres, sondern vor allem auch unser inneres, geistiges und sittliches Leben, Deutschlands und Europas Kultur verteidigen zu müssen gegen die Barbarenflut aus dem Osten und die Rache- und Herrschaftsgelüste aus dem Westen....

Jetzt aber genügt uns... die bloße Abwehr nicht mehr.... Nunmehr wollen wir gegen eine Wiederholung eines solchen Überfalles von allen Seiten, wir wollen gegen eine ganze Kette von Kriegen, wider etwa von neuem erstarkende Feinde mit allen Kräften uns schützen. Und wir wollen uns so fest und so breit auf gesicherten und vergrößerten Heimatboden stellen, dass unsere unabhängige Existenz auf Geschlechter hinaus gewährleistet ist.....

Ganz gewiß nicht Weltherrschaft, aber volle, der Größe unserer kulturellen, wirtschaftlichen und kriegerischen Kräfte entsprechende Weltgeltung wollen wir.....

1.Frankreich -... Wir müssen dieses Land um unseres eigenen Daseins willen politisch und wirtschaftlich rücksichtslos schwächen und unsere militärisch-strategische Lage ihm gegenüber verbessern....

2. Belgien – Belgien... müssen wir... politisch-militärisch und wirtschaftlich fest in der Hand halten...

3. Russland - ... Grenzwall und Grundlage zur Wahrung unseres Volkswachstums aber bietet Land, das Russland abtreten muß....

4. England, Orient, Kolonien und Ãœbersee. - ... Durchsetzung in der Weltwirtschaft, Durchsetzung der deutschen See- und Ãœberseegeltung gegen England...

5. Kriegsentschädigung...

6. Keine Kulturpolitik ohne Machtpolitik. -... Die Sorge um den deutschen Geist gehört nicht unter die Kriegsziele und nicht in die Friedensbedingungen.

Sollen wir aber ein Wort über den deutschen Geist sagen, der uns allerdings der Wert aller nationalen Werte, das Gut aller nationalen Güter, der Sinn des Bestehens, Behauptens und Durchsetzens unseres Volkes in der Welt und die Ursache seiner Überlegenheit unter den Völkern ist, so betonen wir zunächst: zuerst muß Deutschland politisch und wirtschaftlich gesichert leben, ehe es seinem geistigen Berufe in Freiheit nachgehen kann. Sodann, wer den deutschen Geist ohne Machtpolitik, wer die sogenannte bloße Kulturpolitik will, dem rufen wir zu:

Wir wollen keine deutschen Geist, welcher in Gefahr steht, zersetzt und zersetzend zu werden als ein wurzelloser Volksgeist...Wir wollen mit unseren Forderungen dem deutschen Geiste den gesunden Körper schaffen.“

Der Theologe Reinhard Seeberg (1859-1935), Professor und 1918/19 auch Rektor an der Berliner Universität, verfasste diese Eingabe an den Reichskanzler Bethmann Hollweg. Sie enthält unverhüllt die Kriegsziele der annexionistischen Kreise und wurde von 352 Hochschullehrern unterzeichnet.

(Aufrufe und Reden deutscher Professoren im Ersten Weltkrieg. Stuttgart 1975, S.125-135)

 

Petition von Hans Delbrück

 (9.7.1915)

 â€žDeutschland ist in den Krieg nicht mit der Absicht auf Eroberung gegangen, sondern zur Erhaltung seines von der feindlichen Koalition bedrohten Daseins, seiner nationalen Einheit und seiner fortschreitenden Entwicklung. Nur was diesem Ziel dient, darf Deutschland auch bei einem Friedensschluß verfolgen. Eingaben, welcher Euer Exzellenz zugegangen sind, verstoßen gegen diese Ziele. Wir halten daher für unsere Pflicht, diesen Bestrebungen mit aller Entschiedenheit entgegenzutreten und offen auszusprechen, dass wir in ihrer Verwirklichung einen folgenschweren politischen Fehler und nicht eine Stärkung des deutschen Reiches sehen würden.

In rein sachlicher Erwägung bekennen wir uns zu dem Grundsatz, dass die Einverlebung oder Angliederung politisch selbständiger und an Selbständigkeit gewöhnter Völker zu verwerfen ist. Das deutsche Reich ist hervorgegangen aus dem Gedanken der nationalen Einheit, der nationalen Zusammengehörigkeit. Es har nationalfremde Elemente nur langsam und noch unvollkommen mit sich verschmolzen, und wir wollen uns weder durch Ereignisse noch durch Personen , noch durch leicht erzeugbare Stimmungen dazu drängen lassen, die leitenden Grundlinien der Reichsschöpfung aufzugeben und zu verändern und den Charakter des Nationalstaates zu zerstören.....“

Die Eingabe an den Reichskanzler Bethmann Hollweg richtete sich gegen die Seeberg-Adresse; sie wurde von dem Historiker Hans Delbrück (1848-1929), Professor an der Berliner Universität, verfasst und in der Mittwochsgesellschaft diskutiert. Unterzeichnet wurde sie von etwa 70 Professoren.

(Aufrufe und Reden deutscher Professoren im Ersten Weltkrieg. Stuttgart 1975, S. 135-136)

 

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Heinrich Mann hatte sich 1937 bemüht, innerhalb der Volksfront eine selbständige Gruppierung von Intellektuellen zu schaffen. Dieser Versuch misslang.

Rundschreiben vom September 1937

Verehrter Herr,

erlauben Sie mir einige Worte, die, wie ich hoffe, im Interesse der deutschen Opposition liegen. Ihren Vertretern aus den geistigen Berufen käme weit größere Bedeutung zu als die bisher sichtbare. Sie sind für den deutschen Freiheitskampf unentbehrlich.

Nun haben einzelne Intellektuelle nicht bis heute gewartet, um Stellung zu nehmen: sie haben sich dieser oder jener Gruppe der Opposition angeschlossen. Aber bisher ist das Wesentliche versäumt worden: die Verständigung untereinander. Gemeinsam festegestellte Ideen werden eine bedeutende Kraft ausüben – nicht, um die anderen Teile der Opposition zu bekämpfen, obwohl natürlich auch dies schon versucht wird. Deutsche, besonders die links gerichteten Deutschen, denken leider zuerst an das, was sie zu trennen scheint, bevor sie ernsthaft gegen den Feind aller vorgehen.

Nach Rücksprache mit einigen Freunden schlage ich vor, eine Gruppe oder Vereinigung intellektueller und bürgerlicher Anhänger eines befreiten Deutschlands zu schaffen – eine nichtproletarische Gruppe, die bereit ist, in einer breiten Volksfront mitzuarbeiten. Die Volksfront umfasst bis jetzt neben den Vertretern der Arbeiterparteien, der Gewerkschaften, der christlichen Konfessionen, der Jugend und der Frauenorganisationen die bürgerlichen Intellektuellen nur als Einzelpersonen. Erst der Auftrag einer Gesamtheit wird ihnen die Gleichberechtigung und den gebührenden Einfluß in der Volksfront sichern.

Praktisch könnte man sich die Verwirklichung dieser Aufgabe folgendermaßen vorstellen:

    • Es wird ein erster Kern dieser Gruppe geschaffen aus den Freunden, deren Gesamteinstellung ihren Anschluß an die Bewegung wahrscheinlich macht...
    • Jeder Freund, der zum Kern der Gruppe gehört, übernimmt es, einige Freunde für die breitere Gruppe in Vorschlag zu bringen und sie dafür zu gewinnen. Auf diese Weise werden die geistigen Kräfte, die sonst isoliert und ohne Einfluß blieben, sich selbst und dem neuen Deutschland auf das wertvollste dienen.
    • Nachdem eine Anzahl Freunde sich grundsätzlich bereit erklärt haben mitzuarbeiten, soll gemeinschaftlich eine kurze Vereinbarung der Gruppe über die großen Zeitfragen getroffen werden. Ihr wichtigster Inhalt, neben der Unterstützung des gerechten sozialen Befreiungskampfes der Massen, muß eine Synthese von Sozialismus und Demokratie bei Sicherung der größten Freiheiten des Individuums sein.

Nicht um den Beschlüssen der gedachten Konferenz vorzugreifen, nur zur Aufklärung über die Absichten, die den Versuch einer Vereinigung unabhängiger Intellektueller innerhalb der Volksfront herbeigeführt haben, erlaube ich mir, diese Grundsätze aufzustellen:

    • Die Unabhängigkeit der Gruppe und ihrer Mitglieder von jeder politischen Partei.
    • Das Bekenntnis zur praktischen Politik – so verstanden, dass keiner der Teile des werktätigen Volkes und seiner Volksfront abgelehnt wird. ‚Antikommunismus’ besonders würde jeden Befreiungskampf der Deutschen vergeblich machen. Die Tatsache besteht, dass große Massen der Deutschen, die nach Freiheit verlangen, sich Kommunisten nennen. Ãœbrigens können sie in Wirklichkeit die Diktatur einer Klasse unmöglich wollen: sie kämpfen für die Freiheit aus guten Gründen, man darf ihnen glauben. Der sogenannte Antikommunismus ist utopisch, die Feindschaft gegen die Sowjetunion ist es ebenso sehr. Kein Volk wird, wie die Welt jetzt aussieht, mit Erfolg für seine Freiheit kämpfen, es hätte denn in seinem Rücken die Macht der Union.
    • Materielle Unabhängigkeit der Intellektuellen-Gruppe von der KPD wie von jeder anderen Organisation. Jeder aussichtsreiche Schritt, um für unsere Sache die benötigten Geldmittel zu erlangen, wird unternommen werden...

Ich bitte Sie, verehrter Herr, zu erwägen, dass Ihr Beitritt, den ich erhoffe, gerade in diesem Augenblick der antifaschistischen Sache den größten Nutzen brächte... Die Gruppe der Intellektuellen ist tatsächlich die Forderung der Stunde.

Die Folgen im Ausland wären für die Gesamtopposition die günstigsten. Noch wichtiger ist, dass viele Deutsche den Mut zum Kampf gegen Hitler durch geistige Klärung, geistigen Antrieb erst finden würden. Heute haben sie ihn darum nicht, weil sie keine Antwort finden auf die Frage: Was kommt danach?.....

    Ihnen ergeben

    Heinrich Mann“

(zitiert nach: Lion Feuchtwanger: Briefwechsel mit Freunden 1933 – 1958. Berlin und Weimar 1991, Band I, S. 321-324)

(312/313)

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Aufruf an die Deutschen (1942)

„Deutsche! Dieser Appell ist ein Rettungsruf, für alle und auch für euch, Deutsche. Ihr habt die Welt und euch selbst in ein Unglück gestürzt: es überschreitet jedes Maß. Bald ist es nicht mehr gutzumachen, es sei denn, dass ihr es beendet.

Ihr allein könnt den verderblichsten und sinnlosesten aller Kriege abbrechen. Alle anderen müssen bis auf das Äußerste verteidigen, was ihr ist und wofür sie leben: ihr Land und ihre Kinder, ihre Freiheit, ihre sittlichen und sozialen Errungenschaften. Das allein ist angegriffen worden. Der Angreifer ist euer Führer, dem ihr gehorcht habt bis in das augenscheinliche Verderben hinein. Es ist unmöglich, dass ihr sein Verbrechen noch länger überseht.

Ihr könnt ihn zwingen abzutreten. So viel es euch kosten mag, viel teurer kommt es euch zu stehen, wenn ihr ihm weiter erlaubt, Tod und Vernichtung über die ganze Erde zu verbreiten. Deutschland ist nicht ausgenommen; Deutschland teilt das Schicksal, dass es der Welt bereitet, und an den Folgen seiner Fehler wäre sein eigener Anteil der furchtbarste.

Euch bleibt keine Wahl, ob ihr die Waffen niederlegen oder siegen wollt. Der Sieg ist nicht gegeben. Er wird euch weder erlaubt, noch seid ihr ihm gewachsen. Der Feldzug in Russland sollte es euch gezeigt haben. Die Niederlage eurer Heere gegen die kriegerischen Arbeiter und Bauern der Sowjetunion war verhängt und beschlossen: nicht erst seit dem Tage, als ihr in Russland einbracht. Schon als euer Führer, August 1939, seinen Krieg begann, war euer Misserfolg beschlossen und verhängt.

Welteroberungen misslingen immer. Man muß unwissend wie euer Führer sein oder verzweifelt wie er, um sich darüber noch zu täuschen. Jetzt habt ihr erfahren: etwas anderes ist, motorisiert durch verratene Länder zu jagen, und etwas anderes ist, ein Volk, das seine Erde heilig hält, von ihr zu verdrängen. Ihr seht: man wird schneller zurückgeworfen, als man eingedrungen war. Jeder Eroberer findet zuletzt seinen Meister. Jeder falsche Dünkel begegnet endlich der Wahrheit.

Die Wahrheit ist, dass eure Niederlagen auf russischem Boden nie mehr einzuholen sind; dass sie sich eher verwandeln werden in Niederlagen auf deutschem Boden. Oder ihr kündigt vorher eurem Führer, der euch ins Verderben führt, den Gehorsam.

Die Wahrheit ist, dass jeder Feind, der euch heute gegenübersteht, den festen Willen hat, den deutschen Angriffen ein Ende zu machen. Das britische Reich hat den Willen. Die Vereinigten Staaten von Amerika haben den Willen. Beide großen Mächte haben auch die Kraft. Blickt auf die Rote Armee und erkennt, dass der Wille, einen Angreifer zu brechen, die Kraft ihn zu brechen mit einschließt.

Die Wahrheit ist, dass ihr in den Ländern Europas, die ihr für erobert haltet, verhasst seid. So sehr verhasst, ist man kein Sieger. So furchtbar verhasst, wie euer Führer euch gemacht hat, wird man die Unterwerfung der Völker nie, ihre Mitarbeit nie, wird (man) nur ihre Rache kennen lernen.

Fürchtet nicht allein fremde Rache; fürchtet euer Gewissen! Es spricht zu euch; hier wiederholen wir die Warnungen eures eigenen Gewissens. Ihr hört es. Ihr könnt nicht siegen, spricht euer Gewissen; denn euer Führer ist schlecht.

Euer Führer ist der tückische Vernichter der Menschen; und da ihr Menschen seid, vernichtet er euch. Zuerst euch opfert er, zahllos und ohne Bedenken. Bedacht hat er nie, was er tat. Euch verbietet er zu denken; denn er selbst kann nicht denken, nur lügen.

Heute, nach aller begangener Gewalt, fragt euer Führer, warum man sein System zerstören wolle, er dränge es doch keinem auf! Aber er hat gar kein System. Was er der ganzen Welt aufdrängen möchte, ist seine nichtswürdige Person allein: ein Wesen, gemacht aus Bosheit und Dummheit. Ihr habt es zu lange ertragen.

Überwältigt euren Führer, der euch, mit Haß und Unehre beladen, ins Verderben führt. Vollbringt in der äußersten Stunde das einzige, was euch freisteht, um die Menschheit, die euch niemals als Feind haben wollte, vielleicht zu versöhnen; das einzige, was Deutschland retten kann.

Los Angeles, den 9. Februar 1942

Heinrich Mann, Lion Feuchtwanger, Bertolt Brecht“

(zuerst erschienen in der Prawda , Moskau v. 23.3.1942; eine gekürzte Fassung in Aufbau, New York v. 10.4.1942)

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Wolf Biermann war und ist ein unbequemer Dichter – das hat er mit vielen Dichtern der Vergangenheit gemein. Unser sozialistischer Staat, eingedenk der Worte aus Marxens‚ 18. Brumaire’, demzufolge die proletarische Revolution sich unablässig selbst kritisiert, müsste im Gegensatz zu anachronistischen Gesellschaftsformen eine solche Unbequemlichkeit gelassen nachdenkend ertragen können. Wir identifizieren uns nicht mit jedem Wort und jeder Handlung Wolf Biermanns und distanzieren uns von den Versuchen, die Vorgänge um Biermann gegen die DDR zu missbrauchen. Biermann selbst hat nie, auch nicht in Köln, Zweifel darüber gelassen, für welchen der beiden deutschen Staaten er bei aller Kritik eintritt. Wir protestieren gegen seine Ausbürgerung und bitten darum, die beschlossene Maßnahme zu überdenken.

Berlin, den 17. November 1976

Zu den Erstunterzeichnern gehörten Sarah Kirch, Christa Wolf, Volker Braun, Franz Fühmann, Stephan Hermlin, Stefan Heym, Günter Kunert, Heiner Müller, Gerhard Wolf, Jurek Becker und Erich Arendt.

An folgenden Tagen unterschrieb u.a. Jutta Hoffmann, Ulrich Plenzdorf, Rolf Ludwig, Käthe Reichel, Nina Hagen, Eva-Maria Hagen, Angelica Domröse, Hilmar Thate.

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„An die Kulturwelt“

(Zuerst veröffentlicht im „Berliner Tageblatt“ v. 4. Oktober 1914)

„Wir als Vertreter deutscher Wissenschaft und Kunst erheben vor der gesamten Kulturwelt Protest gegen die Lügen und Verleumdungen, mit denen unsere Feinde Deutschlands reine Sache in dem ihm aufgezwungenen schweren Daseinskampf zu beschmutzen trachten. Der eherne Mund der Ereignisse hat die Ausstreuung erdichteter deutscher Niederlagen widerlegt. Um so eifriger arbeitet man jetzt mit Entstellungen und Verdächtigungen. Gegen sie erheben wir laut unsere Stimme. Sie soll die Verkünderin der Wahrheit sein. 

Es ist nicht wahr, daß Deutschland diesen Krieg verschuldet hat. Weder das Volk hat ihn gewollt noch die Regierung, noch der Kaiser. Von deutscher Seite ist das Aeußerste geschehen, ihn abzuwenden. Dafür liegen der Welt die urkundlichen Beweise vor. Oft genug hat Wilhelm II. in den 26 Jahren seiner Regierung sich als Schirmherr des Weltfriedens erwiesen; oft genug haben selbst unsere Gegner dies anerkannt. Ja, dieser nämliche Kaiser, den sie jetzt einen Attila zu nennen wagen, ist jahrzehntelang wegen seiner unerschütterlichen Friedensliebe von ihnen verspottet worden. Erst als eine schon lange an den grenzen lauernde Übermacht von drei Seiten über unser Volk herfiel, hat es sich erhoben wie ein Mann.

Es ist nicht wahr, daß wir freventlich die Neutralität Belgiens verletzt haben. Nachweislich waren Frankreich und England zu ihrer Verletzung entschlossen. Nachweislich war Belgien damit einverstanden. Selbstvernichtung wäre es gewesen, ihnen nicht zuvorzukommen.

Es ist nicht wahr, daß eines einzigen belgischen Bürgers Leben und Eigentum von unseren Soldaten angetastet worden ist, ohne daß die bitterste Notwehr es gebot. Denn wieder und immer wieder, allen Mahnungen zum Trotz, hat die Bevölkerung sie aus dem Hinterhalt beschossen, Verwundete verstümmelt, Aerzte bei der Ausübung ihres Samariterwerkes ermordet. Man kann nicht niederträchtiger fälschen, als wenn man die Verbrechen dieser Meuchelmörder verschweigt, um die gerechte Strafe, die sie erlitten haben, den Deutschen zum Verbrechen zu machen.

Es ist nicht wahr, daß unsere Truppen brutal gegen Löwen gewütet haben. An einer rasenden Einwohnerschaft, die sie im Quartier heimtückisch überfiel, haben sie durch Beschießung eines Teils der Stadt schweren Herzens Vergeltung üben müssen. Der größte Teil von Löwen ist erhalten geblieben. Das berühmte Rathaus steht gänzlich unversehrt. Mit Selbstaufopferung haben unsere Soldaten es vor den Flammen bewahrt. - Sollten in diesem furchtbaren Kriege Kunstwerke zerstört worden sein oder noch zerstört werden, so würde jeder Deutsche es beklagen. Aber so wenig wir uns in der Liebe zur Kunst von irgend jemand übertreffen lassen, so entschieden lehnen wir es ab, die Erhaltung eines Kunstwerkes mit einer deutschen Niederlage zu erkaufen.

Es ist nicht wahr, daß unsere Kriegführung die Gesetze des Völkerrechts mißachtet. Sie kennt keine zuchtlose Grausamkeit. Im Osten aber tränkt das Blut der von russischen Horden hingeschlachteten Frauen und Kinder die Erde, und im Westen zerreißen Dum-Dum-Geschosse unseren Kriegern die Brust. Sich als Verteidiger europäischer Zivilisation zu gebärden, haben die am wenigsten das Recht, die sich mit Russen und Serben verbünden und der Welt das schmachvolle Schauspiel bieten, Mongolen und Neger auf die weiße Rasse zu hetzen. Es ist nicht wahr, daß der Kampf gegen unseren sogenannten Militarismus kein Kampf gegen unsere Kultur ist, wie unsere Feinde heuchlerisch vorgeben. Ohne den deutschen Militarismus wäre die deutsche Kultur längst vom Erdboden getilgt. Zu ihrem Schutz ist er aus ihr hervorgegangen in einem Lande, das jahrhundertelang von Raubzügen heimgesucht wurde wie kein zweites. Deutsche Heer und deutsches Volk sind eins. Dieses Bewußtsein verbrüdert heute 70 Millionen Deutsche ohne Unterschied der Bildung, des Standes und der Partei.

Wir können die vergifteten Waffen der Lüge unseren Feinden nicht entwinden. Wir können nur in alle Welt hinausrufen, daß sie falsches Zeugnis ablegen wider uns. Euch, die ihr uns kennt, die ihr bisher gemeinsam mit uns den höchsten Besitz der Menschheit gehütet haben, euch rufen wir zu: Glaubt uns! Glaubt, daß wir diesen Kampf zu Ende kämpfen werden als ein Kulturvolk, dem das Vermächtnis eines Goethe, eines Beethoven, eines Kant ebenso heilig ist wie sein Herd und seine Scholle. Dafür stehen wir euch ein mit unserem Namen und unserer Ehre!“

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Für unser Land

Appell vom 26. November 1989

Unser Land steckt in einer tiefen Krise. Wie wir bisher gelebt haben, können und wollen wir nicht mehr leben. Die Führung einer Partei hatte sich die Herrschaft über das Volk und seine Vertretungen angemaßt, vom Stalinismus geprägte Strukturen hatten alle Lebensbereiche durchdrungen. Gewaltfrei durch Massendemonstrationen hat das Volk den Prozeß der revolutionären Erneuerung erzwungen, der sich in atemberaubender Geschwindigkeit vollzieht. Uns bleibt nur wenig Zeit, auf die verschiedenen Möglichkeiten Einfluß zu nehmen, die sich als Auswege aus der Krise anbieten.

Entweder können wir auf der Eigenständigkeit der DDR bestehen und versuchen, mit allen unseren Kräften und die Zusammenarbeit mit denjenigen Staaten und Interessengruppen, die dazu bereit sind, in unserem Land eine solidarische Gesellschaft zu entwickeln in der Frieden und soziale Gerechtigkeit, Freiheit des einzelnen, Freizügigkeit aller und die Bewahrung der Umwelt gewährleistet sind.

Oder wir müssen dulden, daß, veranlaßt durch starke ökonomische Zwänge und durch unzumutbare Bedingungen, an die einflußreiche Kreise aus Wirtschaft und Politik in der Bundesrepublik ihre Hilfe für die DDR knüpfen, ein Ausverkauf unserer materiellen und moralischen Werte beginnt und über kurz und lang die Deutsche Demokratische Republik durch die Bundesrepublik vereinnahmt wird.

Laßt uns den ersten Weg gehen. Noch haben wir die Chance, in gleichberechtigter Nachbarschaft zu allen Staaten Europas eine sozialistische Alternative zur Bundesrepublik zu entwickeln. Noch können wir uns besinnen auf die antifaschistischen und humanistischen Ideale, von denen wir einst ausgegangen sind. Alle Bürgerinnen und Bürger, die unsere Hoffnung und unsere Sorge teilen, rufen wir auf, sich diesem Appell durch ihre Unterschrift anzuschließen.

Berlin, den 26. November 1989

Zu den Erstunterzeichnern gehörten u.a. der Kommunalpolitiker Wolfgang Berghofer, der Regisseur Frank Beyer, der Generalsuperintendent Günter Krusche, die Rocksängerin Tamara Danz, die Schriftsteller Volker Braun, Stefan Heym und Christa Wolf, der Pfarrer Friedrich Schorlemmer, die Schauspielerin Jutta Wachowiak und der Filmemacher Konrad Weiss

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Zum Völkerkongress für den Frieden

Wien 1952

„Das Gedächtnis der Menschheit für erduldete Leiden ist erstaunlich kurz. Ihre Vorstellungsgabe für kommende Leiden ist fast noch geringer. Die Beschreibungen, die der New Yorker von den Gräueln der Atombombe erhielt, schreckten ihn anscheinend nur wenig. Der Hamburger ist noch umringt von Ruinen, und doch zögert er, die Hand gegen einen neuen Krieg zu erheben. Die weltweiten Schrecken der vierziger Jahre scheinen vergessen. Der Regen von gestern macht uns nicht nass, sagen viele.

Diese Abgestumpftheit ist es, die wir zu bekämpfen haben, ihr äußerster Grad ist der Tod. Allzu viele kommen uns schon heute vor wie Tote, wie Leute, die schon hinter sich haben, was sie vor sich haben, so wenig tun sie dagegen.

Und doch wird nichts mich davon überzeugen, dass es aussichtslos ist, der Vernunft gegen ihre Feinde beizustehen. Lasst uns das tausendmal Gesagte immer wieder sagen, damit es nicht einmal zu wenig gesagt wurde! Lasst uns die Warnungen erneuern, und wenn sie schon wie Asche in unserem Mund sind! Denn der Menschheit drohen Kriege, gegen welche die vergangenen wie armselige Versuche sind, und sie werden kommen ohne Zweifel, wenn denen, die sie in aller Öffentlichkeit vorbereiten, nicht die Hände zerschlagen werden.“

Bert Brecht

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Unabhängigkeits-Erklärung des Geistes (1919)

Wir – einst Kameraden in der Arbeit, am Geiste – sind seit fünf Jahren hier auf Erden einsam geworden, getrennt durch Armeen, Zensurvorschriften und den Haß der kriegführenden Völker. Aber heute, da die Schranken fallen, und die grenzen sich langsam wieder öffnen, wenden wir uns an Euch mit dem bittenden Ruf, unsere einstige Genossenschaft wieder herzustellen! – Aber in neuer Form – sicherer und widerstandsfähiger als früher.

Der Krieg hatte Verwirrung in unsere Reihen betragen. Fast alle Intellektuellen haben ihre Wissenschaft, ihre Kunst und ihr ganzes Denken in den Dienst der kriegführenden Obrigkeit gestellt. Wir klagen niemanden an und wollen keinen Vorwurf erheben; zu gut kennen wir die Widerstandslosigkeit des Einzelnen gegenüber der elementaren Kraft von Massenvorstellungen, die umso leichter alles hinwegschwemmten, als da keine Institutionen vorhanden waren, an die man sich hätte klammern können. Für die Zukunft jedoch könnten und sollten wir aus dem Geschehenen lernen.

Dazu aber ist es gut, sich an den Zusammenbruch zu erinnern, den die fast restlose Abdankung der Intelligenz in der ganzen Welt verschuldet hat. Die Denker und Dichter beugten sich knechtisch vor dem Götzen des Tages und fügten dadurch zu den Flammen, die Europa an Leib und Seele verbrannten, unauslöschlichen, giftigen Haß. Aus den Rüstkammern ihres Wissens und ihrer Phantasie suchten sie all die alten und auch viele neue Gründe zum Haß, Gründe der Geschichte und Gründe einer angeblichen Wissenschaft und Kunst. Mit Fleiß zerstörten sie den Zusammenhang und die Liebe unter den Menschen und machten dadurch auch die Welt der Ideen, deren lebendige Verkörperung sie sein sollten, vielleicht ohne es zu wollen, zu einem Werkzeug der Leidenschaft. Sie haben für selbstsüchtige politische oder soziale Parteiinteressen gearbeitet, für einen Staat, für ein Vaterland oder für eine Klasse! Und jetzt, da alle Völker, die in diesem Barbarenkampf gekämpft , - Sieger sowohl wie Besiegte – in Armut und tiefster uneingestandener Schande ob ihrer Wahnsinnstat verzweifelt und erniedrigt dastehen, - jetzt scheint mit den Denkern auch der in den Kampf gezerrte Gedanke zerschlagen!

Auf! Befreien wir den Geist von diesen unreinen Kompromissen, von diesen niederziehenden Ketten, von dieser heimlichen Knechtschaft! Der Geist darf Niemandes Diener sein, wir aber müssen dem Geist dienen und keinen andern Herrn erkennen wir an. Seine Fackel zu tragen sind wir geboren, um sie  wollen wir uns scharen, um sie die irrende Menschheit zu scharen versuchen. Unsere Aufgabe und unsere Pflicht ist es, das unverrückbare Fanal aufzupflanzen und in der stürmischen Nacht auf den ewig ruhenden Polarstern hinzuweisen. Inmitten dieser Orgie von Hochmut und gegenseitiger Verachtung wollen wir nicht wählen noch richten. Frei dienen wir der freien Wahrheit, die in sich grenzenlos auch keine äußeren Grenzen kennt, keine Vorurteile der Völker und keine Sonderrechte einer Klasse.

Gewiß, wir haben Freude an der Menschheit und Liebe zu ihr! Für sie arbeiten wir, aber für sie als G a n z e s .  Wir kennen nicht einzelne Völker. Wir kennen nur das Volk, - einzig und allumfassend, - das Volk, das leidet und kämpft, fällt und sich wieder erhebt und dabei doch immer vorwärts schreitet auf seinem schweren Weg in Blut und in Schweiß,  - dieses Volk aller Menschen, die alle, alle unsere Brüder sind.

Nur bewusst werden müssen sich die Menschen dieser Brüderschaft, deshalb sollten wir Wissenden hoch über den blinden Kämpfern die Brücke bauen zum Zeichen eines neuen Bundes, im Namen des einen und doch mannigfaltigen, ewigen und freien Geistes. 

Zu den bekanntesten Unterzeichnern gehören:

Henri  Barbusse, Benedetto Croce, Albert Einstein, Leonhard Frank, Wilhelm Herzog, Hermann. Hesse, Selma Lagerlöf,  Heinrich Mann, Romain Rolland, Bertrand Russell, Rabindranath Tagore, Henry van de Velde, Franz Werfel, Stefan Zweig

Zitiert nach: Deutsche Intellektuelle 1910-1913. Heidelberg 1984, S. 200ff.